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"Die Zukunft ist immersiv"

Verfasst von Michael Stratmann & Kay Bartelt   //  

Die Digitalisierung erfasst immer mehr Lebensbereiche. Mit 3D-Streaming aus der Cloud kann die reale Welt nun virtuell erfahren werden. Der Architekt Christian Grou arbeitet mit Neutral, seiner Agentur für digitale Medien, im Maschinenraum dieser neuen Welt: vom Design virtueller Realitäten und digitaler Architekturen bis hin zur Produktion von Animationsfilmen – die Grenzen der Mensch-Maschine-Interaktionen werden neu entdeckt.

Wie entscheidet sich der Technologie-Einsatz in euren Projekten?

Christian Grou:

Die zum Einsatz kommende Technologie hat viel mit der Zielgruppe zu tun, aber auch mit dem Thema und der konkreten Aufgabenstellung. Möchte man Botschaften schnell und gezielt zweidimensional ausdrücken? Oder will man eine allumfassende dreidimensionale Erfahrung schaffen?

Vom mobilen Erlebnis auf einem kleinen zweidimensionalen Bildschirm bis hin zu einem vollumfänglichen Erlebnis einer Virtual Reality (VR) ist sehr viel möglich. Im Übrigen auch alles dazwischen und auch in Kombination. Unsere Aufgabe ist es, zusammen mit dem Kunden die richtige Lösung zu finden.

Wie die von euch gestaltete Lipstick Bar auf dem Kopenhagener Flughafen?

Christian Grou:

Ja, im Bereich Travel Retail konnten wir für den Duty Free Anbieter Gebr. Heinemann ein immersives Shoppingkonzept mit Augmented-Realty-Anteilen umsetzen. Die Lipstick Bar ist als interaktives Einkaufserlebnis für technisch versierte Millennial-Kundinnen entworfen worden. Sie wurde erstmalig 2018 auf dem Copenhagen Airport umgesetzt und seitdem an fünf weiteren Standorten aufgebaut.

Wie muss man sich ein immersives Erlebnis vorstellen?

Christian Grou:

neutral lipstick barDie Lipstick Bar im Heinemann #LookLabDer Begriff Immersion beschreibt ein Eintauchen, ein sich intensives Einlassen auf ein virtuelles Erlebnis und hat technisch gesehen mehrere Facetten. Auf der einen Seite die geringer immersiven Wahrnehmungen auf einem zweidimensionalen Bildschirm. Andererseits kann es auch ein einnehmendes dreidimensionales VR-Erlebnis sein, welches alle Sinne anspricht.

Die Nutzer bringen bereits eine bestimmte Affinität zu Typographie, Design, Grafiken oder zur Eleganz von Bewegungen mit. Die Anwendungen sind in der Regel auch so ausgelegt, dass sich viele Elemente intuitiv erschließen. Wir sehen insbesondere bei Kindern, dass sie ganz natürlich damit umgehen.

Woher nehmt ihr eure Inspirationen?

Christian Grou:

Wir sind ausgebildete Architekten, die als erste Generation nicht mehr an einem Zeichenbrett gearbeitet hat. Wir sind mit der digitalen Welt aufgewachsen und arbeiten schon immer am Computer in 3D. So wie Gebäude in Architekturen gedacht und gebaut werden, können auch Informationen in eine bestimmte Architektur gegossen werden. Wir suchen nach der Choreographie der Elemente und wie sich etwas abstrakt Dreidimensionales zeitlich darstellen lässt.

Auf eurer Website ist zu lesen: „Our approach morphs analytical thinking and aesthetic excellence in technical expertise to create transformative solutions“. Wie ist das gemeint?

Christian Grou:

Wir haben als Architekten angefangen mit 3D-Räumen zu arbeiten. Aus den Modellen der Computer generierten Grafiken sind dann interaktive Echtzeit-Anwendungen geworden. Die damals noch lineare virtuelle Realität hat sich zu einer neuen Produktwelt der Virtual Show Rooms entwickelt.

Diese komplexen 3D-Welten benötigen eine sehr performante Hardware, die sich in der Zwischenzeit in die Cloud verlagert hat. Das bedeutet für uns, dass wir alle Raffinessen der visuellen Lösungen nun per Stream übertragen können. Die Technologie gibt es massentauglich seit ungefähr einem Jahr und sie kann die VR-Landschaft genauso stark verändern, wie Netflix den Markt für Filme und Serien beeinflusst hat.

Kannst du das näher erklären? Wie sehen diese transformativen Lösungen aus?

Christian Grou:

Beim Erwerb einer Immobilie kann man beispielsweise durch virtuelle Räume des Neubaus oder der Ferienimmobilie gehen und eine Besichtigung durchführen ohne vor Ort sein zu müssen. Wir stellen hierbei für große Entwicklerteams interaktive Tools zur Verfügung, die sowohl über das Internet, aber auch direkt vor Ort darstellbar sind.

Die Web-Anwendung bindet Sales Force als Business Tool ein und ermöglicht so einem Verkaufsteam die Geschäftsvorgänge via CRM-System zu erfassen. Diese Lösungen bieten auch eine API an, über die wir die unterschiedlichsten Plattformen anbinden können.

Was lässt sich in der Realität umsetzen?

Christian Grou:

Nehmen wir folgenden Use Case: Ein Immobilienentwickler besitzt mehrere hundert Wohnungseinheiten, die verkauft werden sollen. Die Showrooms können in Dubai, Singapur oder Tokio vor Ort aber auch online besichtigt werden.

Ein Kunde in Moskau schaut sich gerade das Appartement im 20. Stock an – gleichzeitig ist eine Familie in Dubai vor Ort und schaut sich die Wohnung im Showroom an. In Moskau wird nun angezeigt, dass jemand anderes Interesse dafür hat. Die Familie in Moskau reserviert daraufhin das Objekt aus der Ferne. Die Familie in Dubai wird darüber benachrichtigt und kauft anschließend die Wohnung daneben.

In einer virtuellen Welt lassen sich wesentlich mehr Kunden zeitgleich ansprechen?

Christian Grou:

neutral virtual showroomsBallymore Riverscape – eine interaktive Echtzeit-3D-Marketing-Suite für den ImmobilienvertriebJa, wir haben seinerzeit angefangen mit Marketing-Suites für Immobilienmakler, die international verfügbar sein sollten und deshalb mehrsprachig aufgesetzt wurden. Inzwischen können die Showrooms nicht mehr nur über Farben, Inhalte oder Belichtungen individuell angepasst werden, sondern auch über dynamische Elemente die geografische, sprachliche und kulturelle Gegebenheiten berücksichtigen.

Als im Frühjahr 2020 die Pandemie begann, gab es dann keine Möglichkeit mehr vor Ort zu sein. Da hat sich der Einsatz der App stark bemerkbar gemacht. Die Interessenten können ihre dreidimensionale Besichtigung von der Couch aus durchführen werden, die sie sonst auf großen Touchscreens in den Showrooms gesehen hätten. Aus Sicht des Immobilienentwicklers hat sich seitdem die Zeitspanne des Objektverkaufs halbiert.

Das klingt nach einer fernen Zukunft für deutsche Verhältnisse. Wie ist die Lage hierzulande?

Christian Grou:

In Deutschland ist der Markt tatsächlich langsamer und die Leute sind zögerlicher, was den Einsatz digitaler Lösungen angeht. Wenn sich aber die Verkaufszahlen- und vor allem die Verkaufszeiten erstmal herumgesprochen haben, dann wird man erkennen, wie mächtig solche Apps als Distributionskanäle geworden sind.

Wie erklärt ihr euch den Erfolg?

Christian Grou:

Wir machen mit den dreidimensionalen, interaktiven Modellen über den Einsatz erweiterter oder virtueller Realitäten neue Räume wahrnehmbar. Gleichzeitig sind diese Räume mit Funktionalitäten für Kontaktaufnahme, Interessenbekundung oder Reservierungen verbunden.

Es entsteht eine Synergie bei immersiven Anwendungen. 3D-Streaming läuft auf der bestehenden Web-Basis und ist jederzeit von überall erreichbar. Man hat die Möglichkeit, sich einfach in diesem Informationsraum zu bewegen und ihn schneller und besser zu verstehen als eine statische Website.

Wo seht ihr die stärksten Wachstumsfelder für den Bereich?

Christian Grou:

Der größte Wachstumsbereich im VR-Bereich ist aus unserer Sicht Training – eins zu eins. Mit diesen Virtual Showrooms sind wir schließlich nicht nur die Designer solcher dreidimensionalen Räume, sondern auch die Bauer und die Betreiber langfristig. Das ist eine Art Paradigmenwechsel und wird neue Berufsbilder entstehen lassen. Meine Vision ist es, einen neuen Beruf zu etablieren wie z.B. Medien-Architekt.

Bietet Deutschland genügend ausgebildete Kräfte oder werden sie international verteilt sein?

Christian Grou:

Bei uns sind die Mitarbeiter global verteilt. Wir haben nicht erst seit COVID eine duale Strategie mit einem Kern an Festangestellten und vielen Freelancern, um flexibel zu arbeiten. Wir sind seitdem aber wir viel effizienter in den Projekten.

Generell würde ich sagen, Talent kennt keine Grenzen. Leistung ist das A und O. Entweder du hast die Sachen auf die Beine gestellt und sie sind für das Team verfügbar oder sie sind es nicht: „There is no place to hide”.

Vielen Dank für das Gespräch!