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Leben 3.0: Ein Blick in die Zukunft

Verfasst von Michael Stratmann   //  

Was wäre, wenn sich die Zukunft voraussagen – oder besser: beeinflussen ließe? Was wäre, wenn die Menschheit ihren Fortbestand in den nächsten Jahrzehnten für immer in die Hand einer künstlichen Intelligenz legt? Noch nie waren wir so weit entwickelt wie heute. Nie war die Chance größer, die Erde zu einem gerechten Platz für alle zu machen. Aber zu welchem Preis?

Mit diesen Fragen leitet der schwedische MIT-Professor Max Tegmark in sein interessantes Werk zum Leben 3.0 ein. Die Menschheit steht vor einer „Intelligenzexplosion“. Einfache, sich wiederholende, linear ablaufende Tätigkeiten könnten in allen Lebensbereichen komplett von einer allumfassenden Superintelligenz übernommen werden.

Dieser Moment der Übernahme wird in Fachkreisen als „Singularität“ behandelt. Laut Zukunftsforscher Raymond Kurzweil sind um das Jahr 2045 die Maschinen erstmalig intelligenter als alle Menschen zusammen. Dies sei der Punkt, an dem die Menschen ihre Biologie hinter sich lassen. Diese konkrete Jahreszahl wird nicht von allen Experten unterstützt und manche sehen die Singularität erst später eintreten. Aber dass sie wirksam wird, bestreitet niemand.

Laut Tegmark erreicht „kein Lebewesen eine Lebensspanne von einer Million Jahren, niemand kann sich das Gesamtvolumen von Wikipedia merken, sämtliche bekannten Wissenschaften erlernen oder eine Reise ins Weltall ohne ein Raumschiff antreten.“

Für das Erreichen dieser Ziele müsse das menschliche Leben einem Upgrade unterzogen und auf eine neue Versionsstufe angehoben werden. „Leben 3.0 wird sein eigenes Schicksal meistern und endlich vollständig von seinen evolutionären Fesseln befreit sein.“ Aber was bedeutet das genau?

Evolution in drei Stufen

In der transhumanistischen Tradition Kurzweils unterteilt Max Tegmark die Evolution in drei Stufen: Die biologische Stufe (Leben 1.0) versteht er als Prozess, bei dem die Evolution Hard- und Software – anders gesagt: Körper und Information – hervorbringt. Es sind einfache Lebewesen, die vollkommen von ihrer biologischen Existenz abhängig sind.

Auf der kulturellen Stufe (Leben 2.0) entwickelt sich die Hardware nur langsam weiter, aber die Software kann sich selbst gestalten. Dieser Prozess des bewussten Lernens ermöglicht Lebewesen sich intelligent an ihre Umgebung anzupassen.

Auf der technologischen Stufe (Leben 3.0) schließlich gestalteten sich Hard- und Software vollkommen selbst. Die Informationen sind nicht länger an eine Instanz wie den menschlichen Körper gebunden und können beliebige Formen annehmen. Sie sind auf dieser Stufe „substratunabhängig“.

Tegmark spannt inhaltlich den ganz großen Bogen. Das Buch erinnert an das 2017 von Yuval Noah Harari veröffentlichte Werk „Homo Deus“. Im Gegensatz zu Harari erzählt Tegmark aber keine Geschichte der Menschen, sondern eine der Maschinen.

Maschinen werden eines Tages besser Auto fahren, schneller kassieren und genauere medizinische Diagnosen stellen, als wir es jemals könnten. Einige Experten prophezeien, dass jede repetitive Tätigkeit von einer künstlichen Intelligenz irgendwann besser erledigt wird als von Menschen.

Diese Perspektiven führen den Autor zu sehr grundsätzlichen Fragen, zum Beispiel:

Was ist Leben?

Bevor Tegmark seine Szenarien zur Ausgestaltung der Superintelligenz beschreibt, beleuchtet er den Begriff des Lebens aus informationstechnologischer Perspektive.

Leben ist aus seiner Sicht ein Prozess, der seine Komplexität bewahren und replizieren kann. Dabei repliziert es keine Materie (aus Atomen), sondern Informationen, die vorgeben, wie die Atome angeordnet sind – die DNA.

Leben als sich selbst replizierendes Informations-Verarbeitungssystem bestimmt via Software sowohl sein Verhalten als auch die Pläne für seine Hardware.

Die Speicherkapazitäten sprechen für sich: Während die DNA nur zirka ein Gigabyte an Informationen speichert, kann das entwickelte menschliche Gehirn ungefähr 100.000 Gigabyte an Informationen aufnehmen.

Im Vergleich zu der schier endlosen Speicherkapazität, die inzwischen über das Internet erreichbar ist, sind diese Zahlen jedoch verschwindend gering. Alle zwei Jahre verdoppelt sich dort die Datenmenge. 2020 sollen 40 Zettabyte sein. Umgerechnet 400 Millionen Gehirne.

Aber wie wirkt sich der Einsatz künstlicher Intelligenz in den verschiedenen Gesellschaftsbereichen aus? Wie programmieren wir vollkommen automatisierte Waffensysteme beim Militär oder Robo-Richter in der Justiz?

Laut Tegmark bleibt noch Zeit, die Weichen zu stellen. Noch ist künstliche Intelligenz nicht allumfassend. Denn obwohl die Menschen fortlaufend neue Maschinen konstruieren, die erheblich schlauer sind als sie selbst, haben sie keine Gewissheit darüber, dass sie die Kontrolle über die Maschinen behalten.

Es gilt nun dringend zu erforschen, wie wir die fehleranfälligen Verfahren von heute in robuste KI-Systeme weiterentwickeln, denen wir immer mehr Aufgaben anvertrauen können. Wie bringen wir die Maschinen dazu, menschliche Ziele zu verstehen, zu übernehmen – und auch anzuwenden, wenn sie intelligenter werden und selbst dadurch keinen Nutzen haben?

Zukunftsszenarien

Der Autor bietet quasi als Gegenstück experimentelle Überlegungen zu möglichen Zukunftsszenarien: Wird die Superintelligenz ein liebevoller Diktator? Werden wir in Schlaraffenland-ähnlicher Freiheit leben? Wird uns die Superintelligenz auslöschen oder aber fällt die Menschheit aus Angst vor ihr zurück in ein vortechnologisches Zeitalter?

Mit einer Mischung aus Jules Verne und Karl Marx, Star Trek und den Simpsons bietet Tegmark kluge und fundierte Zukunftsszenarien, basierend auf seinen exklusiven Einblicken in die aktuelle Forschung zur künstlichen Intelligenz. Folgende Modelle zeigen, wie sich die Superintelligenz in ferner Zukunft ausformen könnte:

Der Eroberer: Die künstliche Intelligenz übernimmt die Macht und entledigt sich der Menschheit mit Methoden, die wir noch nicht kennen.

Der versklavte Gott: Die Menschen bemächtigen sich einer künstlichen Intelligenz, nutzen sie, um Hochtechnologien herzustellen und ein Leben in selbstbestimmter Freiheit zu führen – vom Homo sapiens zum Homo deus.

Umkehr: Der technologische Fortschritt wird radikal unterbunden und wir kehren zu einer prätechnologischen Gesellschaft im Stil der Amish zurück.

Selbstzerstörung: Die Superintelligenz kann nicht wirksam werden, weil sich die Nationen gegenseitig im Ringen um die KI-Vorherrschaft vernichten.

Egalitäres Utopia: Es gibt weder Superintelligenz noch Besitz, Menschen und kybernetische Organismen existieren friedlich nebeneinander.

Der Autor ist davon überzeugt, dass künstliche Intelligenz entweder das Beste ist, was der Menschheit passieren kann, oder das Schlimmste. Obwohl er seine Szenarien sehr anschaulich beschreibt, besteht nun aber die entscheidende Herausforderung nicht darin, zu klären, welches Szenario uns am ehesten bevorsteht. Die Menschen müssen stattdessen herausfinden, was sie mit einer Superintelligenz erreichen wollen und welche konkreten Schritte sie heute unternehmen können, um die Menschheit mit KI in Zukunft eher gedeihen als verderben zu lassen.

Seine Ideen dazu auf globaler Ebene:

  • Erstens müssen wir einen Rüstungswettlauf im Bereich tödlicher autonomer Waffen verhindern.
  • Zweitens sicherstellen, dass der riesige Wohlstand geteilt wird, den künstliche Intelligenz hervorbringt.
  • Drittens viel investieren in die Erforschung von Sicherheit im Bereich der KI.

Konkrete Schritte in der persönlichen Lebensplanung sollten nach Tegmark so aussehen, dass sie beispielsweise eine Berufswahl umfassen, in denen Maschinen gegenwärtig schlecht sind und in denen die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass sie in naher Zukunft automatisiert werden. Das ist der Fall mit Aufgaben, die Spontanität, Kreativität und soziale Kompetenz enthalten.

Sollte die Superintelligenz zukünftig genügend Wohlstand schaffen, der zum materiellen Wohl der Menschen eingesetzt wird, könnten die folgenden Generationen anderen Tätigkeiten als der Erwerbsarbeit nachgehen. Menschen bekommen dann nicht mehr das, was sie verdienen, sondern das, was sie sich wünschen.

Mehr zur Zukunft des Lebens und dessen Ausgestaltung bietet die Website des Future of Life Institute an.