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Prof. Dr. Ortmaier: "Man lässt die Maschinen aus dem Käfig."

Verfasst von Kay Bartelt   //  

Dr. Tobias Ortmaier studierte Elektrotechnik an der Technischen Universität München und wurde dort vom Cusanus-Werk mit einem Stipendium für Hochbegabte gefördert. Seine Dissertation schrieb er am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR). Nach weiteren Stationen als Projektleiter bei der KUKA Roboter GmbH wurde der ehemalige Hofmiller-Abiturient 2008 zum Professor für Mechatronik in Hannover berufen.

Ihr Institut arbeitet sowohl an grundlagenorientierten Forschungsthemen als auch mit anwendungsorientierten Fragestellungen. Wie lassen sich diese Gebiete für interessierte Laien zusammenfassen?

In der Mechatronik sitzen wir zwischen den Stühlen einzelner Fachdisziplinen. Wir betrachten das Zusammenspiel aus Mechanik, Elektronik und Informationsverarbeitung und bearbeiten Systeme, die immer diese drei Komponenten beinhalten.

Ein schönes Beispiel ist das ABS im Auto. Es existiert ein Sensor, der die Radumdrehungen misst, sowie eine Steuereinheit, die Blockaden erkennt und dann dafür sorgt, dass die Bremsen wieder geöffnet werden.

Das imes verfolgt einen interdisziplinären Kurs. Mit welchem Ziel?

Mechatronik ist eine klassische Schnittstellendisziplin. Das heißt im Positiven, wir können überall mitreden. Im Negativen bedeutet das, es gibt ausgewiesene Fachexperten in den jeweiligen Teildisziplinen, die viel tiefer drinstecken als wir.

In der Mechatronikausbildung versuchen wir daher, unseren Studenten ein Systemverständnis beizubringen. Das bedeutet, dass sie bei ihren Überlegungen immer die Wechselwirkungen zwischen den Komponenten berücksichtigen. Das Drehen an einer Stellschraube kann sich an vielen Stellen, auch unerwartet, auswirken. Dadurch sind Mechatroniker in der Lage einen Beitrag zu leisten, den einzelne Experten alleine nicht erbringen können.

Woran genau arbeiten Sie?

to 03„Unsere Überlegungen berücksichtigen immer die Wechselwirkungen.“Wir betreiben einerseits öffentlich finanzierte Grundlagenforschung, beispielsweise im Bereich der Energieeffizienz elektrischer Antriebssysteme. In diesen Grundlagenprojekten haben wir sehr viel Zeit darauf verwendet, den Energieverbrauch der einzelnen Bauteile hochgenau zu modellieren.

Die Ergebnisse wurden dann im Rahmen von Folgeprojekten mit Wirtschaftsunternehmen in die Praxis umgesetzt und leisten so einen unmittelbaren Beitrag zum Umweltschutz und zur Kostenreduktion.

Daneben kümmern wir uns auch um Themen in der Kraftfahrzeugtechnik, der Medizin und der Robotik. Seit Neuestem nehmen Fragestellungen aus dem Gebiet der Big-Data-Analyse, jedoch hier immer mit einem klaren Bezug zur Mechatronik, eine zunehmend wichtigere Rolle am Institut ein.

Welche Aufgaben übernimmt Ihr Institut als Mitglied des Mechatronik Zentrums Hannover (MZH) und des Hannoverschen Zentrums für Optische Technologien (HOT)?

Im Prinzip geht es bei diesen Initiativen immer darum, größere Themen im Verbund zu bearbeiten und unterschiedliche Fachdisziplinen an einen Tisch zu bringen. Es existieren komplexe Fragestellungen, die nicht alleine bearbeitet werden können, es müssen mehrere Forschungsrichtungen zusammen an einem Strang ziehen. Wir koordinieren dann gemeinsam Promotionsprogramme, Graduiertenkollegs oder Sonderforschungsbereiche, in denen wir übergeordnete Themen bearbeiten.

Welche Projekte können Sie konkret benennen?

Aus dem Bereich der optischen Technologien ist das Promotionsprogramm „Tailored Light“ hervorzuheben. Dort werden räumliche, zeitliche und spektrale Aspekte von maßgeschneidertem Licht zusammengebracht. Das HOT hat vom niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kultur 15 Stipendien bei einer Gesamtfördersumme von rund 980.000 Euro erhalten.

Entwickelt sich Hannover zu einem Zentrum für Robotik?

Ja. Wir haben inzwischen eine kritische Masse an universitären Instituten, die sich mit Fragestellungen der Robotik befassen, und bieten ein umfangreiches Lehrangebot in diesem Bereich an. So sind in meiner Vorlesung Robotik 1 fast 400 Studenten eingeschrieben, von denen erfahrungsgemäß etwa 50 Prozent auch die Prüfung schreiben. Das ist ein enormer Pool an Fachkräften für Hannover und darüber hinaus.

Erwähnen möchte ich auch eine weitere Initiative: Finanziert durch die Region Hannover wird mit der Roboterfabrik ein durchgehendes Ausbildungskonzept an der Leibniz Universität angeboten, welches sowohl Studenten als auch Schüler und Lehrer involviert. Damit wollen wir schon früh das Interesse an der Robotik wecken und die vielfältigen Facetten dieser Wissenschaftsdisziplin aufzeigen.

Seit Januar 2017 werden dort innovative Gründungsteams gesucht. Was genau zeichnet diese Initiative aus?

Zum einen haben wir uns lehrtechnisch noch breiter aufgestellt und bieten den Studenten in Kooperation mit anderen Fakultäten jetzt auch Entrepreneurship-Vorlesungen an.

Des Weiteren haben wir auch neue Veranstaltungen geschaffen: Das Tutorium Student Accelerator Robotics and Automation, das über das MZH Studenten mit einer guten Geschäftsidee offensteht, ist speziell auf technologieorientierte Gründungen abgestimmt.

Die Begleitung durch ein erfahrenes Team, das sowohl die ingenieurwissenschaftliche als auch die betriebswirtschaftliche Seite abdeckt, erfolgt insgesamt über ein halbes Jahr und umfasst auch die Bereitstellung finanzieller Mittel. Dabei vertrauen wir bei unseren Studenten darauf, dass sie eigenständig entscheiden, wie sie das Geld verwenden.

Kürzlich wurde ergänzend der Robotics Incubator als Pilot aufgesetzt, der in Kürze an den Start geht. Zusammen mit der Region Hannover, hannover impuls und der Venture Villa unterstützen wir Teams, die im Bereich Robotik und Automatisierung mit ihren Produktideen ein Unternehmen gründen wollen. Dieses Angebot richtet sich an Absolventen oder Doktoranden unserer Universität.

Ziel ist es, ein Funktionsmuster und einen belastbaren Businessplan zu entwickeln, um sich dann um Beteiligungs- und Risikokapital zu bewerben. Es handelt sich also um eine klassische Pre-Seed-Finanzierung mit klarem Branchenfokus. Diese Maßnahme wird zunächst mit insgesamt 400.000 Euro gefördert und wir hoffen bei erfolgreichem Verlauf auf eine deutliche Ausweitung.

Welche Maßnahmen werden ergriffen, um das Potenzial an Studienabgängern an die Uni bzw. die angeschlossenen Industrieunternehmen zu binden?

to 02„Es müssen mehrere Forschungsrichtungen zusammen an einem Strang ziehen.“Wir fragen in unregelmäßigen Abständen die Bedarfe von Industrievertretern ab, welches Rüstzeug die Absolventen mitbringen sollen. Dabei sehen wir, dass informationstechnische Themen rund um die Erstellung von Software immer wichtiger werden. Diesen Aspekt versuchen wir ein Stück weit mit in unsere Kursplanung aufzunehmen, indem wir Vorlesungen von anderen Fakultäten in unsere Module integieren und neue Veranstaltungen anbieten.

Grundsätzlich wollen wir die Studenten aber nicht nur in Technologien ausbilden, weil diese erfahrungsgemäß schnell veralten. Wir geben ihnen hier das theoretische Fachwissen an die Hand, welches sie die nächsten zehn Jahre durchs Berufsleben trägt. Mindestens genauso wichtig für den späteren beruflichen Erfolg ist eine selbstständige Arbeitsweise. Diesen Aspekt würde ich gerne in Zukunft wieder mehr betonen.

Momentan spricht man vom Paradigmenwechsel in der Robotik. Was heißt das?

Robotik war bisher harte Automatisierungstechnik, die hinter Zäunen ablief. Diese schützen den Bediener und das Personal vor Verletzungen. Aktuell wird jedoch die direkte Interaktion von Robotern und Bedienern verstärkt vorangetrieben. Man lässt die Maschinen quasi aus dem Käfig raus, da man sich dadurch erhebliche Kosteneinsparungen und Produktivitätsgewinne erhofft.

Dies ist möglich, da sich die Technik in den letzten Jahren grundlegend weiterentwickelt hat: Mehr Sensoren sowie andere Steuerungs- und Regelungsalgorithmen machen eine direkte und sichere Interaktion zwischen Mensch und Maschine möglich. Aktuell sieht sich die Forschung mit der Herausforderung konfrontiert, die Bedienung intuitiver zu gestalten: Der Roboter soll aus der menschlichen Sprache und Gestik Handlungsprimitive ableiten und anschließend umsetzen.

Solche Systeme kommen dann in der Biomedizin zum Einsatz?

Wir bauen mechatronische Assistenzsysteme für das robotergestützte Operieren, dabei kommt es prinzipbedingt zu einem direkten Kontakt zwischen Mensch und Maschine. Zusammen mit internationalen Partnern haben wir bspw. an Konzepten geforscht, um über einen flexiblen Roboter mit Laser und Bildbearbeitung Stimmlippentumore hochgenau und für den Patienten schonend abzutragen.

Nach dem Telepräsenz-Prinzip wird die Handbewegung des Operateurs auf einem Tablet erfasst und auf den Roboter übertragen. Dabei kann diese Bewegung skaliert werden. Aus einem Zentimeter beim Menschen wird dann ein Millimeter beim Roboter. So kann auch ein wenig Geübter ganz fein operieren.

Sie wurden mit 34 Jahren zum Professor berufen. Wie sind Sie mit dieser Verantwortung umgegangen?

Außer, dass ich graue Haare bekommen habe? (lacht) Ich stand mit Demut und Naivität vor der Aufgabe. Hätte ich vorher gewusst, was alles zeitlich und emotional auf mich zukommt, hätte ich es mir wohl gründlicher überlegt.

Ich arbeite jetzt mehr als in der Industrie und führe hier eigentlich ein KMU. Manchmal mehr ein K, manchmal mehr ein M. Das hat mir öfters schlaflose Nächte bereitet, insbesondere da unsere Grundfinanzierung für eine langfristige Planung eigentlich nicht ausreichend ist, ich meinen Mitarbeitern aber trotzdem eine exzellente Arbeitsumgebung bieten möchte.

Forschen Sie noch selbst?

Meine Arbeitszeit ist zu größten Teilen durch Projektakquisition und akademische Selbstverwaltung besetzt. Die Bürokratie hat zwischenzeitlich ein unerträgliches Ausmaß eingenommen.

Wenn man dann noch engagierte Lehre anbieten möchte, bleibt für die eigentliche Forschung leider nur noch wenig Zeit. Wir haben deshalb mit Gruppenleitern eine Zwischenhierarchie eingeführt, die mir sehr viel Arbeit abnimmt. Aber wenn es mal irgendwo hängt, kommen die Kollegen auch gerne zu mir.

Das Interview führten Michael Stratmann & Kay Bartelt
Fotos: Eigenproduktion