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Janina Kugel: "Die Arbeitswelt verändert sich disruptiv."

Verfasst von Kay Bartelt   //  

Janina Kugel, Jahrgang 1970, studierte Volkswirtschaftslehre an den Universitäten Mainz und Verona. Sie wechselte im Jahre 2001 von Accenture in den Siemens-Konzern. Dort war sie als Personal-Chefin bis Januar 2020 fünf Jahre Mitglied des Vorstands. Sie ist eins von elf Mitgliedern im Rat der Arbeitswelt.

Bundesminister Hubertus Heil hat Sie kürzlich in den Rat der Arbeitswelt berufen, als Volkswirtschaftlerin, Beraterin und langjähriger HR-Vorstand. Welche Aufgaben und Themen werden Sie in diesem neuen Gremium besetzen?

Von Seiten des Ministers wurde der Rat ganz bewusst divers besetzt, so dass seine Mitglieder unterschiedliche Perspektiven einbringen können. Gemeinsam werden wir die Themen für die ersten Jahre in naher Zukunft festlegen. Grundsätzlich stehen wir dabei der Tatsache gegenüber, dass sich die Arbeitswelt an vielen Stellen verändert. Nicht nur evolutionär, sondern auch disruptiv.

Ich denke, dass wir diesem Wandel nicht mit den Gesetzgebungen und Modellen der Vergangenheit begegnen können und so die Zukunft gestalten. Wir werden an der ein oder anderen Stelle klare Brüche brauchen und dazu übergehen müssen, dass nicht nur ein einziger Ansatz für die Komplexität der Arbeitswelt existiert. Wir benötigen auf Einzelfälle ausgelegte Lösungen.

Können Sie ein Beispiel geben?

jk 03„Wie können wir diejenigen einbinden, die andere Ideen haben?“Wir müssen uns die Branchen genau anschauen und herausfinden, welche Themen wo wichtig sind. Nehmen Sie das Beispiel Ruhezeit. Das mag für manche Berufsgruppen sehr wichtig sein, bei anderen hat es sicherlich keine Relevanz und schränkt die Flexibilität ein.

Werden Sie im Rat auch das Thema „Künstliche Intelligenz“ (KI) mit einbeziehen?

Wir werden noch beraten, wann genau KI auf die Agenda kommt. Das Thema ist in einem sehr frühen Entwicklungsstadium. Die derzeitigen Algorithmen wirken in speziell ausgewählten Anwendungsbereichen und können uns bei der Komplexität der Aufgaben noch nicht unterstützen.

Digitalisierung, Leadership und Agilität sind Schlagworte in der HR. Welche Kernelemente benötigt ein Unternehmen um fähiges Personal zu gewinnen?

Viele Arbeitgeber sind es in den letzten Jahrzehnten nicht gewohnt gewesen, sich den Bedürfnissen von potenziellen Arbeitnehmern anpassen zu müssen, um attraktiv im Wettbewerb zu bleiben. Jedes Unternehmen muss sich zuerst überlegen, was sein Alleinstellungsmerkmal ist und was es tatsächlich bieten kann. Und das kann für verschiedene Zielgruppen unterschiedlich aussehen.

Ist der Führungsstil auch eine Voraussetzung dafür, um neue Talente zu gewinnen?

Ja, der Führungsstil spielt eine große Rolle. Wenn Sie ein Team führen, sind Sie selbst nicht immer der ausgewiesene Spezialexperte, sondern leiten ihr Team an, coachen es und geben ihm eine Richtung. Sie müssen Vertrauen in die Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter haben und in der Komplexität heutiger Entscheidungssituationen diejenigen zu Rate ziehen, die sich in den einzelnen Bereichen gut auskennen.

Sie haben das Thema Diversität prominent positionieren können. Was beinhaltet dieser Begriff für Sie?

Diversität misst die Unterschiede, die Menschen ausmacht. Das sind auf der einen Seite die offensichtlichen Unterschiede, wie das Geschlecht, das Alter sowie ethnische und teilweise religiöse Aspekte usw.

Was auf den ersten Blick aber unsichtbar bleibt, sind die Erfahrungsschätze, die die Menschen mitbringen. Denken Sie dabei nicht nur an die Berufserfahrung im engeren Sinn, sondern auch an Sprachen, Traditionen und andere kulturelle Überlieferungen.

Mir geht es beim Thema Diversität darum zu sagen, ein Mensch ist ein Mensch. Jeder kann etwas zur Gestaltung unserer Arbeitswelt beitragen. Wie lassen wir es zu, dass Menschen mit unterschiedlichen Gedanken, unterschiedlichen Prägungen und unterschiedlichen Erfahrungsschätzen ihren Beitrag leisten können? Wie können wir produktiv diejenigen ins Team einbinden, die andere Ideen haben?

Und dann sprechen wir von Inklusion und nicht mehr über Diversität. Darum geht es, wenn sie bessere Teams haben möchten.

Dem gegenüber stehen häufig eine negative Fehlerkultur und zu einheitliche Teamstrukturen. Wie gehen Sie damit um?

jk 05„Führungskräfte müssen sich an diejenigen anpassen, die teilnehmen sollen.“Leider herrscht in Teams oft eine Situation vor, die ich plakativ das „Mimimi-Syndrom“ nenne. Menschen umgeben sich mit Leuten, die so ähnlich sind wie sie selbst und sorgen somit für die Verstärkung ihrer eigenen Wünsche und Vorstellungen.

Wenn ein Team unterschiedlicher Spezialisten aber über die Fähigkeit verfügt, mit Reibungen und Widerständen konstruktiv umzugehen, führt es meiner Erfahrung nach zu besseren Ergebnissen.

Mir war und ist es ein Anliegen, die Missstände klar zu adressieren und zu erklären, warum bestimmte Dinge zu tun oder andere Dinge zu lassen sind. Es geht darum, Diskussionen zuzulassen und sich auch zu entschuldigen, wenn Prozesse nicht funktionieren. Diese Offenheit wird von vielen Menschen als authentische Führung wahrgenommen.

Wenn Führungskräfte eine inklusive Arbeitswelt schaffen wollen, dann müssen sich nicht diejenigen den alten Regeln anpassen, die heute noch nicht Teil dieser Arbeitswelt sind. In Zeiten des Fachkräftemangels müssen sich die Führungskräfte an die Bedürfnisse derjenigen anpassen, die teilnehmen sollen. Das haben viele noch nicht verstanden.

Bei LinkedIn, Twitter oder Instagram folgen Ihren Accounts sehr viele Menschen. Welche Vorteile sehen Sie in der Präsenz auf Social Media Plattformen?

Ich benutze diese Kanäle schon seit Beginn meiner beruflichen Entwicklung und bevor ich Vorstand bei Siemens wurde. Für mich sind es Kommunikationskanäle wie viele andere auch. Es gibt das persönliche Gespräch, Meetings, Konferenzen und andere Formate.

Aber Sie können über die sozialen Kanäle sehr einfach Ihre Meinung teilen und Menschen erreichen. Ich freue mich darüber, andere durch meine Arbeit zu inspirieren, nutze diese Medien aber auch als Inspirationsquelle für mich.

Eines Ihrer wichtigsten Themen ist Lebenslanges Lernen – die Jugendlichen wachsen damit auf. Wie vermitteln Sie dieses Thema der Generation 50+?

Das hat nichts mit Generationen zu tun. Aber fragen Sie mal in einer Einkaufsstraße quer durch alle Altersklassen, wer eine positive Erinnerung an die Lernerfahrung in der Schule hat.

Lebenslanges Lernen klingt für viele Menschen wie eine Haftstrafe, weil sie keine Erinnerung daran haben, dass Lernen Spaß machen kann. Wir dürfen das Lernen nicht verlernen, es gilt die Freude am Neuen wieder zu wecken.

Wir sind in Deutschland noch zu undurchlässig für Bildungsverläufe und haben bestimmte Karrierewege vorstrukturiert. Dabei sollten wir uns klar machen, dass nicht nur die Erstausbildung Teil des staatlichen Auftrages ist, sondern dass die Menschen auch Lernphasen in der Mitte des Lebens benötigen.

Das Thema Weiterbildung ist bisher hauptsächlich in den Händen der Arbeitgeber. Hier brauchen wir definitiv ein Umdenken und hätten mit den Möglichkeiten zur Digitalisierung auch die Technologien dafür.

Sie gelten als sehr zugänglich, können aber auch harte Entscheidungen durchsetzen. Sind Frauen die besseren Chefs in der heutigen Zeit?

jk 02„Ich bin gerade 50 geworden und es ist an der Zeit, neue Dinge zu tun.“Das ist unabhängig vom Geschlecht. Es sind diejenigen die besseren Führungskräfte, die in der Sache entscheiden und sich für den Projekterfolg einsetzen. Sie können als Führungskraft nicht den Anspruch haben, dass Sie für jede ihrer Entscheidungen gefeiert werden.

Mir war es immer wichtig, harte Entscheidungen selbst zu kommunizieren. Nichts ist schlimmer als sich wegzuducken und andere vorzuschicken. Als Person offen zu sein und dennoch harte Entscheidungen zu treffen, schließt sich nicht aus.

Sie sind seit Anfang Februar frei für neue Herausforderungen. Welche berufliche Position reizt Sie?

Es wird nicht „die eine neue Position“ werden. Mir ist es jetzt wichtig, Neues zu lernen und Dinge zu probieren, die ich noch nie gemacht habe. Natürlich werde ich auch weiterhin meine Erfahrungen teilen, als Advisor oder Aufsichtsrat.

Aber ich plane, mich selbständig zu machen. Und das kann sich jetzt konkretisieren, weil mehr Zeit dafür zur Verfügung steht. Ich bin gerade 50 geworden und es ist an der Zeit neue Dinge zu tun. Ich gehe an diesen neuen Abschnitt mit viel Offenheit und Neugier heran. Und mal sehen, was draus wird. Diese Freiheit zu haben, ist mein größter Luxus.

Das Interview führten Michael Stratmann & Kay Bartelt
Fotos: Siemens AG