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Deutschland auf dem Weg zur Token-Ökonomie

Verfasst von Kay Bartelt   //  

Blockchain-Technologien haben in den letzten Jahren viel Aufmerksamkeit erfahren. Im Zuge der Digitalisierung wird das Internet der kopierbaren Informationen zu einem Internet der eindeutigen Werte erweitert. Dabei wandelt sich das Wort "Blockchain" im Sprachgebrauch vom engen Sinn der verketteten Blöcke hin zu einem Sammelbegriff, der unterschiedliche Distributed-Ledger-Technologien (DLT) erfasst.

DLT steht im Deutschen für die "Technik verteilter Kontenbücher", bei der beliebig viele (gleichgestellte) Kopien eines Hauptbuches von unterschiedlichen Parteien geführt werden. Diese dezentrale, manipulationssichere und konsensuale Datenhaltung in verteilten Netzwerken steht im Gegensatz zum klassischen Ansatz, bei dem eine Instanz ihr Hauptbuch verwaltet.

Die in den Blockchains gespeicherten Informationen referenzieren auf digital tokenisierte Eigentumswerte, die eindeutig identifizierbar sind. Mit ihrer Hilfe können alle Werte, Rechte und Schuldverhältnisse an materiellen und immateriellen Gütern durch Token repräsentiert und deren Handel- und Austauschbarkeit vereinfacht werden.

Als Bezugsgröße und Messeinheit für die Blockchain-Technologien gilt der Betrieb eines Peer-to-Peer-Protokolls, mit der vor über zehn Jahren eine innovative Datenregister-Struktur als zusätzlicher Internet-Layer für solche Zwecke geschaffen wurde. Mit ihr werden digitale Wert-Transaktionen durchgeführt ohne dass es einer zentralen Instanz zur Validierung dieser Transaktionen bedarf. Diese Innovation ist besser bekannt unter dem Namen Bitcoin.

Um sicherzustellen, dass Wert-Transaktionen nicht mehrfach getätigt werden (double spending) gewährleistet das Bitcoin-Protokoll die Eindeutigkeit des Systemzustands. So kann es Werte zu jedem Zeitpunkt eindeutig einem Besitzer zuordnen. Auch die Bundesregierung hat das Potenzial erkannt und eine nationale Blockchain-Strategie entwickelt, mit der sie die Rahmenbedingungen für Innovationen auf Basis der Blockchain-Technologie festlegt.

Jenseits von Bitcoin - Die nationale Blockchain-Strategie

Die Bundesregierung möchte mit ihrer nationalen Blockchain-Strategie die Chancen der Technologie nutzen und Potenziale für die digitale Transformation mobilisieren. Dafür will sie bis Ende 2021 die Vereinbarkeit von Blockchain-Anwendungen mit dem geltenden Recht sicherstellen und "einen investitions- und wachstumsorientierten Ordnungsrahmen schaffen, in dem Marktprozesse ohne staatliche Eingriffe funktionieren und das Prinzip der Nachhaltigkeit gewährleistet wird."

Deutschland soll den Weg zur digitalen Souveränität zunächst auf fünf Handlungsfeldern in 44 Einzelmaßnahmen beschreiten: "Wo Blockchain-Anwendungen einen klaren Mehrwert gegenüber bestehenden Lösungen bieten, vor allem hinsichtlich der Nutzerfreundlichkeit für Bürgerinnen, Bürger und Unternehmen, wird die öffentliche Verwaltung in Einzelfällen als ein Leitanwender fungieren, soweit sichergestellt ist, dass das Vertrauen in sicheres und verlässliches Handeln keinen Schaden nimmt."

Die fünf Handlunsgfelder sind:

1. Finanzsektor

Gemäß der Rechtslage in Deutschland können aktuell keine zivilrechtlichen Wertpapiere auf einer Blockchain begeben werden. Hierzu bedarf es der Verkörperung eines Rechts im Rahmen einer Papier-Urkunde. Die Bundesregierung will das deutsche Recht für elektronische Wertpapiere öffnen und einen Gesetzentwurf zur Regulierung des öffentlichen Angebotes bestimmter Krypto-Token vorlegen.

Darüber hinaus soll Rechtssicherheit für Handelsplattformen und Krypto-Verwahrer geschaffen werden. Die geplante Regulierung dient einerseits der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. Zum anderen etabliert sie das notwendige Kundenschutzniveau, welches im Falle einer stärkeren Verbreitung von Kryptowerten zwingend erforderlich ist.

2. Reallabore

Als Testräume für Innovation und Regulierung fungieren sogenannte Reallabore, die in einem innovationsoffenen Wettbewerb konkrete Ideen und Projekte aus der Praxis unterstützen. Projektförderungen existieren insbesondere in den Bereichen der Blockchain-basierten Energiewirtschaft, der Logistik, im Gesundheitswesen, dem Verbraucherschutz oder der Verifikation von Bildungszertifikaten.

Auf dem Weg zur Energiewende werden insbesondere Musterlösungen für eine digitalisierte Energiewirtschaft sowie neue Netzstrukturen pilotiert. Anwendungsfälle sind blockchainbasierte virtuelle Großspeicher für PV-Anlagenbetreiber, Smart-Meter-Gateways für Energieanlagen oder der Energiehandel via Peer-to-Peer-Transaktionen.

Blockchain-Technologien können auch zu mehr Transparenz, Effizienz und Sicherheit entlang von Wertschöpfungsketten sowie zur Schließung von Produktkreisläufen beitragen. Die Bundesregierung untersucht dabei u.a. Unternehmenskooperationen im Rahmen von Smart Contracts sowie die Blockchain-basierte Prozessdatenübertragung.

3. Investitionen

Um die Rahmenbedingungen für ein investitionsförderliches Umfeld abzustecken, möchte der Staat einen klaren und technologieneutralen Rechtsrahmen etablieren. Dies wird auf technischer Ebene durch die Entwicklung von Standards, die Möglichkeit von Zertifizierungen und die Beachtung der IT-Sicherheitsanforderungen geschaffen.

Im Sinne der Technologieneutralität soll der Rechtsrahmen die Blockchain-Technologie nicht gegenüber anderen Technologien benachteiligen oder bevorzugen. Neben kapitalmarktrechtlichen Richtlinien und Fragen des Gesellschaftsrechts werden auch die Bereiche des Verbraucher- und Datenschutzes einbezogen. Es geht im Wesentlichen darum, die Durchsetzbarkeit von Recht in Blockchain-Strukturen sicherzustellen, vor allem wenn diese nationale Grenzen überschreiten.

Ein wesentliches Element der Blockchain-Technologie ist, dass sie durch ihre technische Struktur neue Formen der Zusammenarbeit – auch zwischen Wettbewerbern – ermöglicht. Kollaborationen basieren hier auf Smarts Contracts und dezentralen Entscheidungsprozessen – durch das Fehlen einer zentral verantwortlichen Instanz werden die Netzwerkteilnehmer zu Dezentralen Autonomen Organisationen (DAO).

Damit diese in einem sicheren Rechtsrahmen funktionieren können, bedarf es einheitlicher Normen. Durch den überwiegenden Einsatz von Open-Source-Lizenzen soll mehr Transparenz und Vertrauen in Blockchain-Anwendungen hergestellt und damit die Investitionssicherheit erhöht werden. Die nationale Normungsorganisation DIN arbeitet ebenso wie verschiedene ISO-Arbeitsgruppen zu Themen der Interoperabilität, IT-Sicherheit (security by design) und Verifizierung von Vertragsparteien.

4. Digitale Verwaltungsdienstleistungen

Viele Wirtschafts- und Verwaltungsprozesse setzen die Identifikation einer Person oder eines Objektes voraus. Digitale Identitäten sind somit die Grundlage für die weitere digitale Vernetzung. Sie müssen vertrauenswürdig und weit verbreitet, kostengünstig sowie intuitiv nutzbar sein. Die Bundesregierung pilotiert daher Blockchain-basierte Identitätsprofile im Rahmen des Innovationswettbewerbs "Schaufenster Sichere Digitale Identitäten".

Da bisher keine existierende ID-Lösung die notwendige kritische Masse erreichen konnte, werden die Lösungen nun in regionalen "Schaufenstern" zusammengeführt. Technologieanbieter, Kommunen und Bürger sollen viel enger als bisher zusammenarbeiten, um die digitale Transformation und informationelle Selbstbestimmung zu fördern.

Der Innovationswettbewerb gliedert sich in zwei aufeinanderfolgende Phasen: Der Projektstart der Wettbewerbsphase erfolgte zum 1. Juni 2020 – die Umsetzungsprojekte starten ab April 2021. In der Wettbewerbsphase sollen überzeugende Konzeptideen entwickelt und hinsichtlich Machbarkeit und Umsetzbarkeit überprüft werden. In 11 ausgewählte Konsortien erarbeiten die Teilnehmer detaillierte Roadmaps zur Umsetzung ihrer Konzeptidee. Anfang Dezember erfolgt die Auswahl der Gewinnerkonzepte.

5. Zusammenarbeit

Um den Austausch zwischen KMUs, Start-ups, Großunternehmen und weiteren relevanten Organisationen zu fördern, ruft die Regierung eine Dialogreihe zur Blockchain-Technologie ins Leben und bringt die Akteure im Rahmen der Digital Hub Initiative zusammen. Die Vernetzung bei Veranstaltungen soll dazu beitragen, Wissen über Best-Practices und Anwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Im Zuge dessen soll die Etablierung neuer, offener Kooperationsformen von Unternehmen und Bürgern mit Einrichtungen der Wissenschaft deutlich ansteigen. Dazu gehören Wissenschaftsprojekte wie "bloxberg" der Max-Planck-Gesellschaft und Unternehmenskooperationen z.B. im Rahmen von Fraunhofer Blockchain Labs. Der anwendungsbezogene Einsatz der Blockchain bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen wird mit Mitteln der institutionellen Förderung von Bund und Ländern durchgeführt.

Insbesondere für kleine Organisationen ist der Zugang zu Daten nach wie vor schwierig. Die Bundesregierung wird daher ihre bestehende Open-Data-Initiativen ausbauen. Mit der Mission „Neue Quellen für neues Wissen“ in der ressortübergreifenden Hightech-Strategie 2025 arbeitet sie zudem darauf hin, die Potenziale der Schlüsseltechnologien für die Wirtschaft nutzen, den innovativen Mittelstand zu stärken und Zahl der innovativen Start-ups zu erhöhen, z.B. mittels Förderprogrammen wie EXIST, INVEST oder dem High-Tech Gründerfonds.

Deutschland im Vergleich mit der Smart Nation Estland

Die Bundesregierung hatte ihre nationale Blockchain-Strategie im September 2019 vorgelegt. Dies hat viele Kommentatoren auf den Plan gerufen. Die digitale Verwaltung, die in Estland seit 20 Jahren entstanden ist, wird hierbei oft als Referenzbeispiel für fortgeschrittene Digitalisierung genannt.

Estland garantiert seinen Bürgern per Gesetz kostenlosen Zugang zum Internet. Die Digitalisierung des öffentlichen Lebens wurde seit 1997 kontinuierlich vorangetrieben und nahezu alle staatlichen Verwaltungsleistungen sind online für die Bürger Estlands verfügbar. Nur für Heiraten, Scheidungen und Grundstückgeschäfte muss man noch physisch erscheinen.

85 Prozent der Bevölkerung verfügen über einen Breitbandanschluss. 100 Prozent der Arztrezepte werden online ausgestellt und alle Schulen sind miteinander vernetzt. Via personengebundener e-ID können Bürger 600 e-Dienste abrufen: Vertragsunterzeichnungen, Bankgeschäfte, Abgabe der Wahlstimme oder schlicht Parkgebühren bezahlen. Alles digital.

Der papierlose Staat beinhaltet schon seit dem Jahr 2000 eine papierlose Regierung, die Sitze im Parlament und im Stadthaus von Tallinn sind mit Laptops ausgestattet. Abgestimmt wird per Mausklick. Nach jeder Parlamentsdebatte können die Esten den aktuellen Stand von Gesetzesentwürfen an ihrem Rechner ansehen und Verhandlungen über Staatsausgaben im Internet in Echtzeit verfolgen.

Die Bürger haben auch das Recht einzusehen, wer ihr e-ID Nutzerprofil aufgerufen hat – sie können im Zweifelsfall eine Erklärung verlangen, warum auf bestimmte Daten zugegriffen wurde. Für das Funktionieren der Systeme ist sicherlich auch die Größe des Projekts verantwortlich: in Estland leben ca. 1,35 Millionen Einwohner auf einer Fläche von 45.000 km2. Die Regierung hat damit ungefähr so viele Bürger unter Aufsicht, wie die Stadtverwaltung München auf der Landesfläche von Niedersachsen.

Nach einem Jahr Umsetzungszeitraum hat der IT-Branchenverband Bitkom kürzlich eine Übersicht zum Umsetzungsstand der 44 Ankündigungen vorgelegt. Das Ergebnis vorweg: 17 Maßnahmen sind sehr weit fortgeschritten, 20 in Arbeit und 7 noch nicht angegangen.

Zur Halbzeit der nationalen Blockchain-Strategie wurden auch 32 weitere Städte in Deutschland zur Smart City ernannt. Die Digitalisierung der Kommunen wird mit insgesamt 820 Millionen Euro gefördert. Laut Bitkom Smart City Index 2020 dominiert Hamburg aktuell das nationale Digitalgeschehen.