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Das Risiko ist immer auch Chance

Verfasst von Jörg Bachmann   //  

In den frühen Phasen eines (IT-)Projektes sollte bei allen Projektbeteiligten ein Verantwortungsbewusstsein für die erfolgreiche Durchführung des Risikomanagements aufgebaut werden. Dieses Ziel wird aber durch mangelndes Budget und unzureichende Risikokultur im Unternehmens nur selten erreicht.

Die Folge sind zeit- und kostenintensive Probleme, die hätten verhindert werden können. Die Praxis zeigt immer wieder: Für eine hohe Ergebnisqualität in Projekten ist professionelle Methodenunterstützung notwendig.

Im Projektgeschäft wird oft der dritte Paragraph des Rheinischen Grundgesetzes angewendet. „Et hät noch immer jot jejange!“ Mutmaßlich haben viele Mitarbeiter noch keine Bekanntschaft mit dem berühmten Gesetz des amerikanischen Ingenieurs Edward A. Murphy gemacht, der das absolute Gegenteil konstatiert: „What ever can go wrong will go wrong.“

Beide Arten von Risiko werden durch diese Sichtweisen angedeutet. Denn Risiko ist nicht nur die Möglichkeit, dass unerwünschte Ereignisse eintreten, sondern auch die Möglichkeit, dass gewünschte Ereignisse nicht eintreten. Der Volksmund bewertet das Eintreten beider Möglichkeiten mit der Formel: Hat man kein Glück, kommt auch noch Pech dazu. Murphy in seiner reinsten Form.

Ursache für Projektschieflagen ist ein hartnäckiges Missverständnis. Zwei Begriffe werden sinnverwandt benutzt, besitzen aber unterschiedliche Bedeutungen. Die beiden Begriffe sind Problem und Risiko. Allein der korrekte Umgang mit diesem ungleichen Paar, ermöglicht ein seriöses und erfolgreiches Risikomanagement.

Denn Risiko ist per Definition erst einmal nur die Möglichkeit, dass es ein Problem geben könnte. Das Risiko ist dem Problem vorgelagert. Bleibt es früh im Projekt unbeachtet und tritt schließlich ein, dann ist es zu einem Problem geworden. Das Risikomanagement darf nicht erst zu diesem Zeitpunkt starten.

„Houston, wir haben ein Problem.“

Als die Besatzung der Apollo 13 ihren berühmten Funkspruch absetzt, ist es schon zu spät. Aus Risiko wurde Problem. Die Mission muss wegen technischer Probleme abgebrochen werden. Aber der einzige Weg zurück zum blauen Planeten führt um den Mond herum.

Zum Glück befindet sich ausgerechnet der Astronaut an Bord, der die Notfallmaßnahmen in der Kommandokapsel persönlich ausgearbeitet hat. Die Astronauten retten sich auch dadurch, dass sie das Fahrzeug zur Mond-Landung als „Rettungsboot“ benutzen.

Wie sich später herausstellt, werden bereits vor dem Take-Off falsche Einstellungen vorgenommen. Die an der Herstellung des Zubehörmaterials beteiligten Firmen begehen Fehler, die nicht auffallen. Aber auch die NASA ist bei den Tests zur Mission unaufmerksam.

Lange bevor die Probleme entstehen, existierten bereits die Risiken. Dass sie unbemerkt bleiben, verschafft der damals jungen Raumfahrtgeschichte eine spektakuläre Rettungsaktion. Trotz widriger Umstände gelingt es die Astronauten lebend zur Erde zu bringen. Die NASA wird die misslungene Mission als „erfolgreichen Fehlschlag“ bezeichnen. Anders gesagt: Nochmal Glück gehabt.

Handeln ist bereits per Definition risikobehaftet, da der Erfolg bei der Durchführung von Taten auch ausbleiben kann. In einfachen wie komplexen Projekten ist daher eine vorausschauende und methodische Steuerung eventuell eintretender Probleme unausweichlich.

Hinzu kommt: Projekte sollen Veränderungen bewirken. Neues soll entstehen. Der vollständige Weg zum Ergebnis ist niemandem bekannt. Man begibt sich ins Ungewisse und hat nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Zeit und Geld sind knapp. So staunen Risikomanager nicht selten: Projektteilnehmer kennen zwar mehr oder weniger die Risiken beim Betreten des Neulands, lassen diese aber ohne Steuerung nebenher laufen.

Risikomikado: Wer sich bewegt, hat verloren

Verantwortlich dafür ist die Fehlerkultur eines Unternehmens. Mitarbeiter schweigen, weil sie Erklärungsnöte gegenüber Vorgesetzten befürchten. Risikobewusstsein wird zu selten honoriert. Das Team verhält sich wie beim berühmten Geschicklichkeitsspiel mit den Holzstäbchen. Wer nichts macht, macht nichts falsch.

Für den bewussten Umgang mit Risiken, die auch immer Chancen sind, ist es in vielen Firmen ein weiter Weg. Noch immer wird im Projektalltag oftmals eher reagiert als agiert. Mit dieser Vorgehensweise erhöht sich die Wahrscheinlichkeit des Projektfehlschlags. Zu verhindern, dass aus Risiken Probleme werden, erspart später die Erklärung ausufernder Projektzeiten und -kosten.

Das wissen auch die Verantwortlichen der drei Großprojekte in Hamburg, Stuttgart und Berlin. Inzwischen sind die Baustellen rund um Konzertsaal, Bahnhof oder Flughafen zum „Bermudadreieck der Projektkosten“. ernannt worden. Mit einem funktionierenden Risikomanagement hätte man sich viel Häme erspart.

Probleme lassen sich nicht immer verhindern, können aber in ihren negativen Auswirkungen begrenzt werden. Mögliche Eintrittsszenarien im Vorfeld abzustimmen, bietet viele Vorteile. Transparenz und Klarheit werden geschaffen, Unsicherheiten beseitigt und potentielle Chancen können besser genutzt werden.

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Konzentration aufs Wesentliche

Seit über 20 Jahren haben sich zunehmend ganzheitliche Regelwerke und Standards im Bereich Risikomanagement entwickelt. Weltweit sind über 80 Frameworks und Normen zum Thema Risiko oder Risikomanagement im Einsatz. Das Portfolio reicht von Sicherheits-, Gesundheitsschutz- und Umweltschutznormen bis hin zu allgemeinen Leitlinien in der Raumfahrt-, Medizin- und Biotechnik sowie der Petrochemie und Softwaretechnik.

Diese Lehrbuchmethoden lassen sich aber für den praktischen Einsatz kaum als brauchbare Werkzeuge verwenden. Risikolisten mit über einhundert Themen sind nicht zielführend. Erst entlang der einfach umgesetzten Prozessschleife: „Risiken erkennen > bewerten > kommunizieren > steuern > überwachen“ wird ein realistisches und bezahlbares Risikomanagement möglich.

Es empfiehlt sich, die wesentlichen Risiken zu Themenkomplexen zu bündeln und auf zwei Hand voll Kernrisiken zu reduzieren (Erkennen & Bewerten). Teammitglieder und Management können sich so ein besseres Bild der Situation machen und ihre „Problemkinder“ per Risikomatrix (s. Grafik) einfach im Auge behalten (Kommunizieren & Steuern). Wichtig ist dabei, dass der Status der Risiken regelmäßig beobachtet wird (Überwachen).

Die rheinische Philosophie mit ihrer frohlockenden Aussicht, es gehe immer gut, liegt in Projekten oftmals neben der Wahrheit. Paragraph 2 des besprochenen Grundgesetzes liefert dagegen eine Perspektive, die anschlussfähig ist. Sie lautet: „Et kütt wie et kütt“. In nicht einwandfreiem rheinisch kann aus Erfahrung ergänzt werden: „Jo, äver dat lett sech regeln.“