Zum Hauptinhalt springen

Code Camp 2025: Auf dem KI*ez von St. Pauli

Verfasst von Philipp Traue   //  
Verfasst von Philipp Traue
//

Es sollte deutlich schriller werden als in den Vorjahren – das war so gewollt und so geplant. Vom 9. bis 11. Oktober tauschten zwölf FSS-Softwareentwickler ihre Kundenbüros gegen das „Hamburger Ding“, einen Co-Working Space mitten im Herzen von St. Pauli. Nicht nur die Umgebung und das Abendprogramm waren entsprechend dynamisch – mit KI in der Softwareentwicklung hatten wir uns einen ebenfalls rauschartigen inhaltlichen Schwerpunkt gewählt.

Künstliche Intelligenz ist überall

Es gehört zur DNA unseres alljährlichen Events, gemeinsam den Blick auf etwas Neues zu richten, Technik auszuprobieren und sich in freundschaftlicher Atmosphäre dazu auszutauschen. Dieses Mal wollten wir uns die Coding Assistenten wie Googles Gemini und Anthropics Claude im Programmierer-Alltag anschauen und auch einen Blick auf (lokale) LLMs als Teil einer größeren Systemarchitektur werfen. An Dynamik mangelt es der Branche nicht, an Erfahrungen und Realismus unseren Eindrücken nach aber schon.

Um beim Event fokussiert zu bleiben, hatten wir vorher – je nach Vorerfahrung und Interesse – vier Themen-Cluster gebildet, die die Forschungs-Schwerpunkte bilden sollten:

  • Erfahrungsaufbau für effektives Prompting im Bereich Coding
  • Vergleich von KI-gestützten Codings mit klassischer Programmierung
  • Nutzen von LLMs im Umgang mit Dokumenten und Dokumentation
  • Notwendige Infrastruktur für Anwendungen, die KI integrieren

Coding auf Steroiden

Entlang dieser groben Linien, war es spannend zu sehen, wie daraus einzelne Ideen entstanden und ein jeder sich danach, dank KI Assisstenz, schon in der Umsetzung wiederfand. Hands on. An diesem Tag sollten viele Entwürfe für organisatorische Software entstehen: Von einer Reisekostenabrechnung über die Belegdigitalisierung und Krankmeldungen bis hin zu firmeninternen Dokumentanalyse-Tools und Chatbots. Erste Konzepte für diese kleinen Beispiel-Applikationen waren zügig erstellt, analysiert, verworfen und neu erstellt. So mancher hatte schon zur Mittagszeit einen klar erkennbaren Prototypen vor sich, teils in Programmiersprachen, die wir im Alltag nicht verwenden.

Bei voller KI-Integration in den IDEs und dem Zugriff der Assistenten auf Projektstrukturen erlebten viele Teilnehmer einen regelrechten Geschwindigkeitsrausch bei anfangs hoher Zuverlässigkeit des entstandenen Codes. Aus dem Flow gerissen wurden wir nur durch ungewollt humorvolle Situationen mit den getesteten Assisstenten, wenn sie sich übertrieben devot für Fehler entschuldigten oder sich selbst korrigierten. Am Ende des ersten Tages blickten wir erstaunt und durchaus begeistert auf weit fortgeschrittene Entwürfe, funktionierende Oberflächen und laufende Webservices.

Der eigentliche Blick richtete sich aber vor allem auf das erstmalige Feedback der Teilnehmer – welche Strategien, Ideen und Tricks sich als besonders zielführend, effizient und vor allem zuverlässig herausgestellt hatten. Die Belohnung in Form eines ausgiebigen Abendessens im Hard Rock Cafe und des einen oder anderen Getränks im Irish Pub auf Pauli hatten wir uns jedenfalls verdient.

Alles ist Context, Prompting und Model

Mindestens genau so erkenntnisreich war auch der Folgetag. Hier stießen wir erstmals auf Probleme und Grenzen dieser neuen Arbeits- und Denkweisen. Die unabgeschlossenen Projekte des Vortags mussten wieder aufgenommen und fortgeführt werden, die Softwarestände mehrerer Entwickler mussten zusammengeführt und noch bestehende kleine Fehler sollten korrigiert werden. Dinge, bei denen sich unsere neuen Assistenten überraschend schwer taten. Fast schon symptomatisch folgte dem Rausch also eine gewisse Ernüchterung.

Es schälte sich Stück für Stück heraus, dass hinter jeder KI im Moment letztlich ein statisches LLM steht. Dieses kommt nur über einen in der Konversation wachsenden Kontext, ungesehene Systemprompts und die selbstgewählten Prompts zu seinen Antworten. Strategien, Paradigmen und Verständnis für die Aufgabe – oder die Aufgabe hinter der Aufgabe – fehlen allzu oft. Der entstandene Code war oftmals nur für genau das Problem aus dem Prompt geeignet – meist nur für lokales Deployment oder als echte Einmallösung gebaut. Die Überreste älterer Lösungsansätze wurden nicht sauber refaktoriert und oft war der Programmcode sehr länglich, wenig abstrahiert und ziemlich wartungsunfreundlich.

Die Rückkehr alter Tugenden

Das Big Picture, der Subtext von Kommunikation im Projektalltag und eine vorausschauende Skalierung fand sich nur im Zusammenspiel mit einem erfahrenen Entwickler. Es bestand sogar die Gefahr, dass eine erhebliche Nachbearbeitung notwendig wurde, um die Ergebnisse dieses KI-Pair-Programmings auf Spur zu bringen und zu halten.

Bei dieser Herausforderung halfen uns in diesem Teil des Code Camps überraschenderweise vor allem anachronistisch anmutende Tugenden wie strukturiertes Schritt-für-Schritt-Vorgehen, das Herausarbeiten des eigentlichen Problems, tiefes Sprachverständnis in der jeweiligen Sprache und allgemein Erfahrung und Weitsicht. Professionelle Softwareentwicklung braucht offensichtlich neben KI-Assistenten immer noch Profis. Diese Profis auch in Zukunft aufzubauen und auszubilden, dürfte in den kommenden Jahren eine der großen Aufgaben branchenweit sein.

So entließ uns das diesjährige Code Camp mit einer gewaltigen Menge an Eindrücken und Erkenntnissen – aber eben auch Gedankenanstößen – die wir im Anschluss noch auf eine beschauliche Lichterfahrt durch den nächtlichen Hamburger Hafen und eine feierlaunige Nacht auf St. Pauli mitnehmen durften.

DSCF9493
DSCF9506
DSCF9622
IMG 3645
IMG 3649
IMG 3650
IMG 3656
IMG 3672
IMG 3674