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Sustainable Finance – Die Grüne Welle

Verfasst von Robert Pönitz   //  

Eine grüne Welle läuft durch die Brüsseler Institutionen. Ausgelöst durch den European Green New Deal und in Regularien gegossen durch die Offenlegungs- und die Taxonomieverordnung. Ein entscheidendes Puzzlestück in diesem Plan ist die Finanzwirtschaft.

Wellen sind ein komplexes Phänomen. Obwohl wir sie täglich erzeugen, wenn wir Wasser in ein Glas gießen, steigt mit ihrer Größe die Komplexität derart, dass Riesenwellen erst seit knapp 25 Jahren überhaupt erforscht werden.

Ein Tsunami, ebenfalls eine sehr große Welle, im Gegensatz zu Riesenwellen jedoch auf offener See kaum zu bemerken, bewegt unter der Oberfläche nahezu die gesamte Wassermasse aufs Land zu und türmt sich erst an der Küste zu einer zehn Meter hohen, gelegentlich sogar bis zu 50 Meter hohen Flutwelle auf.

Welche Höhe die grüne Welle aus Brüssel erreicht, ist noch nicht abzuschätzen, aber dass die Folgen gravierend sein werden, ist die erklärte Intention. Denn nichts weniger als ein kompletter Umbau des Wirtschaftssystems schwebt der Kommission mit ihrem European Green New Deal vor. Bis 2050 will die EU vollständig klimaneutral sein. Ähnliche Ziele kommen mittlerweile von der Biden-Regierung und China will seine Nettoemissionen bis 2060 auf null reduzieren. Solch langfristigen Zielvorgaben sind leicht zu setzen, ihre verbindliche Umsetzung ist dagegen schwer zu erreichen.

Interessanter sind daher die mittelfristigen Ziele. Bis 2030 sollen die Treibhausgasemissionen auf 55 Prozent im Vergleich zu 1990 reduziert werden, eine Übererfüllung des Pariser Klimaschutzabkommen. Die Kosten dafür beziffert die EU-Kommission auf eine Billion Euro und die Hälfte des Geldes soll aus der Privatwirtschaft kommen. Um dies zu erreichen hat das EU-Parlament im November 2019 mit der Offenlegungsverordnung ein rechtliches Instrument geschaffen, welches darauf abzielt, Kapital auf nachhaltigere Unternehmen umzulenken.

Mit der Taxonomieverordnung im Juni 2020 wurde schließlich ein „grüne Liste“ erstellt, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig gelten und welche Unternehmen in ihren Geschäftsberichten den Anteil an grünen Geschäftstätigkeiten nachzuweisen haben. Als EU-Verordnung erhalten sie sofort Gesetzesstatus! Eine Umsetzung in den Mitgliedsländern entfällt.

Die Vermessung der Nachhaltigkeit

An dieser Stelle kommt den Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften eine besondere Rolle zu, denn auch sie müssen künftig nachweisen, welchen Anteil an Krediten sie an nachhaltige Firmen und Projekte vergeben oder wie nachhaltig die Unternehmen wirtschaften, die in einen Fond aufgenommen werden. Dazu bedarf es einer Menge Daten, mit denen Finanzmarktteilnehmer mit mehr als 500 Mitarbeitern bereits seit 1. Juli diesen Jahres die Nachhaltigkeitsrisiken bei ihren Investitionsentscheidungen messbar und transparent machen müssen.

Das Thema Nachhaltigkeit ist nicht nur in Brüssel auf der Agenda, da sich zum einen Firmen zunehmend Forderungen gegenüber sehen Umweltrisiken einzupreisen oder zu entschädigen: BP hat 18,7 Mrd. $ an Entschädigung für die Ölpest im Golf von Mexico gezahlt und die Pacific Gas and Electric Company (PG&E), ein kalifornisches Energieunternehmen, musste Konkurs anmelden, als klar wurde, dass ein Auslöser für die riesigen Waldbrände an der amerikanischen Westküste defekte Stromleitungen der Firma waren und Kosten von 30 Mrd. $ erwartet wurden. Die Versicherer haben diese Zahlen stets im Blick.

Zudem sind Investmentgesellschaften bereits seit längerem dabei, ESG-Prinzipien (Environmental, Social, Governance) in ihren Investitionen zu berücksichtigen. Und schließlich können Vermögensverwalter ihren Kunden angesichts sinkender Margen verschiedene Formen grüner Anlagen anbieten und dabei höhere Gebühren abrechnen.

Green Finance – ein Trend der bereits existiert?

Werden also aus Brüssel offene Türen eingerannt? Hat die Finanzwirtschaft den Trend vorweggenommen? Ist die grüne Welle ein Plätschern auf einem Strom, dessen Fließrichtung längst bestimmt wurde? Zwischen 2015 und 2020 hat sich der Anteil an Unternehmen im Euro Stoxx 600, die ihre Emissionen veröffentlichen, von 40% auf 79% nahezu verdoppelt. Die USA mit 67% der Unternehmen im S&P 500 zeigt ähnliche Zahlen. Da scheint eine Offenlegung messbarer ökologisch nachhaltiger Wirtschaftstätigkeiten ein kleiner und folgerichtiger Schritt zu sein.

Der Teufel steckt jedoch wie so oft im Detail. Unternehmen nutzen für diese Form der Bilanzierung von Treibhausgasemissionen das GHG Protocol (Greenhouse Gas Protocol). Das Protokoll kennt drei Stufen der Emissionsmessung. Von den Firmen angegeben werden in der Regel die Scope-1 Emissionen, welche die Unternehmen selber erzeugen und daher mit Ausnahme der Energieunternehmen, Luftfahrt oder der Schwerindustrie oft eine geringe Rolle spielen. Die Scope-2 Emissionen sind indirekt genutzte Emissionen, darunter fällt zumeist eingekaufte Energie in Form von Elektrizität. Scope-3 Emissionen versuchen schlussendlich den C02-Fußabdruck der gesamten Wertschöpfungskette zu erfassen, von der Herstellung genutzter Güter bis zur Entsorgung der Abfälle.

Scope-1 Emissionen sind durch Änderung der Geschäftsprozesse zu reduzieren, bei Scope-2 Emissionen dagegen ist bereits eine ausreichende Versorgung mit Erneuerbarer Energie oder alternativ Nuklearenergie Voraussetzung. Während in Deutschland Ende 2022 die letzten Kernkraftwerke abgeschaltet werden sollen, setzen Frankreich und die USA weiterhin auf diese öffentlich umstrittene aber CO2-arme Energieversorgung. Dass der Green New Deal Kernkraft nicht erwähnt, sondern das Thema umschifft, ist daher wenig überraschend.

Hohe Scope-3 Emissionen sind ein Hinweis auf Geschäftsmodelle, die entweder auf der Zulieferer- oder der Kundenseite hohe Emissionsraten verzeichnen. Um dies zu ändern müsste eine Firma die Geschäftspraktiken ihrer Zulieferer kontrollieren oder den Kundenstamm wechseln. Daher ist es wenig verwunderlich, das Scope-3 Emissionen zu einem deutlich geringeren Teil in den Bilanzen ausgewiesen werden.

Stattdessen orientieren sich viele Regularien, wie die Taxonomieverordnung, für den Moment an der Förderung grüner Investitionen. Umweltschädliche Produktion wird aus bestimmten Investitionsmodellen ausgeschlossen – basierend auf dem „do no harm“-Prinzip des Green New Deals – oder emissionsarme Firmen gefördert. Die Bestimmung dieses CO2-Abdrucks ist wie gezeigt nicht trivial. Apple hat einen Bruchteil der Emissionen von Samsung, da Samsung selbst produziert und Apple die Herstellung auslagert.

Die Begrünung der Wirtschaft ist in vollem Gange

Klimapolitik ist derzeit zumeist abstrakt und daher akzeptabel für viele Firmen. Sie kommt in Form von Steuern oder Abgaben auf Energie, sie bestimmt jedoch noch nicht primär die Geschäftsentscheidungen. Um ganze Wirtschaftszweige klimaneutral zu machen, reichen die vorhandenen Technologien nicht aus, wenn nicht gleichzeitig der Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten reduziert wird, was Einfluss auf die Kaufentscheidungen hat.

Dazu müssen die CO2-Preise entsprechend ansteigen um die erwünschten Verhaltensänderungen zu zeitigen. Und sehr wahrscheinlich notwendige Technologien wie CO2-Abscheidung und -Speicherung, die an den betroffenen Lagerstätten in der Bevölkerung unpopulär sind, werden ohne ein gewisses Maß an Ökodiktatur nicht durchsetzbar sein.

Für die grüne Welle der Regularien werden die nächsten zwei Jahren entscheidend sein. Bis dahin soll nicht nur der Weg zur CO2-Neutralität vorgezeichnet werden, sondern auch der Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft, in der Wirtschaftswachstum und Ressourcenverbrauch voneinander entkoppelt werden.

Der Wasserspiegel steigt also langsam an und noch ist nicht klar, welche Höhe die Welle letztlich wirklich erreicht, wenn sie auf Land in Form der Realwirtschaft trifft. Doch es gibt bereits Institutionen, die auf ihr in eine grüne Zukunft reiten wollen. Die Schweizer Großbank UBS sieht eine Zukunft in der ein komplettes Finanzsystem auf CO2-Preisen und Emissionshandel basiert. Die Schweizer selbst haben im Gegensatz dazu am 13. Juni ein CO2-Gesetz abgelehnt, welches das Land auf die Pariser Klimaziele verpflichtet hätte.