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Schnelles Umschaltspiel – Banken zwischen Finanzaufsicht und Fintechs

Verfasst von Jörg Stumpenhagen   //  

Die BaFin treibt die Banken mit Regularien vor sich her. Bei den Fintechs drohen sie den Anschluss zu verlieren. Der Schlüssel zu beiden Problemen ist ein gutes Datenmanagement. Was die Finanzinstitute dabei von Amazon lernen können.

Die Finanzkrise hallt auch knapp zehn Jahre später noch nach in der Bankenwelt. Das sichtbarste Symbol sind die neuen Leitlinien, die im Rahmen von Basel III greifen und die Bankenwelt gegenwärtig umbauen. In der Krise zeigte sich, dass die IT zur Unterstützung des Risikomanagements vieler Geldinstitute nicht performant genug war.

Risikorelevante Informationen wurden über viele Datensilos verteilt und die Konsolidierung dieser Daten für die Steuerung finanzieller Risiken war unzureichend. Dies führte zu Fehlbewertungen mit den bekannten Folgen. Darüber hinaus bereitet es Banken erhebliche Probleme, vermeintlich gleichlautende Risikokennzahlen des internen und externen Risikomanagements abzugleichen.

Im Nachgang zur inhaltlichen Regulierung des Risikomanagements, fokussiert sich die Aufsicht nun auf die Datenverwendung und -struktur sowie das Datenqualitätsmanagement, bekannt als BCBS 239.

Kurz gesagt geht es um die Auflösung von Datensilos, die Vermeidung von zumeist nicht ausreichend dokumentierter und leicht zu manipulierender individueller Datenverarbeitung (IDV) zugunsten eines Single-Point-Of-Truth für relevante Daten. Die Aggregation der Daten soll nachvollziehbar und hochautomatisiert erfolgen. Schließlich soll die Berichterstattung ebenso für den Stress- und Krisenfall wie auch für Ad-hoc-Anfragen verfügbar sein.

Neben der Gefahr, die von der Aufsicht geforderte Compliance in Bezug auf eine Data Governance nicht schnell genug zu erreichen, lauern bereits weitere Gefahren.

Banking is necessary, banks are not

Innovation ist jedoch in aller Munde, besonders wenn es um Fintechs geht. Diese sind angetreten, die klassische Bankenlandschaft zu verändern. Disruption, wie es neudeutsch heißt.

Mit den neuen Regularien haben die Banken unerwartete Schützenhilfe erhalten. Aber das wird den Siegeszug der Fintechs nicht aufhalten. Bill Gates prophezeite schon vor zehn Jahren: „Banking is necessary, banks are not.“ Noch haben die klassischen Institute aber nicht zu unterschätzende Trümpfe auf ihrer Seite.

Denn sie besitzen einen Erstanbietervorteil gegenüber den Fintechs, durch Datenbestände mit Bezug auf Kundentransaktionen und demografische Angaben. Darüber hinaus sind klar definierte Geschäftsmodelle und langfristig etablierte Finanzprodukte über große, loyale Kundenstämme hinweg wertvolle Assets dieser Institute.

Die Geschäfts- und Entscheidungsprozesse dieser Organisationen sind auf die effiziente Abwicklung komplexer Lösungen ausgerichtet. Das schließt die IT mit ein. Oft sind die IT-Prozesse durch eine große Anzahl von Anforderungen bei parallel vielen Abhängigkeiten gekennzeichnet.

Um dies trotzdem in entsprechender Qualität zu gewährleisten, wurden viele Prozessebenen, Tools und Gremien eingeführt, was zu einer reduzierten Umsetzungsgeschwindigkeit führt. Diese langen Prozessketten über viele Organisationseinheiten führen darüber hinaus zu einer großen Distanz zwischen dem Anforderer im Fachbereich und dem Umsetzer im IT-Bereich.

Fintechs, in denen Innovationen generiert werden, arbeiten anders. Hier wird nicht erst ein Lasten- und Pflichtenheft erstellt, bevor ein Prozess implementiert wird, da oft die Anforderungen von innovativen Produkten noch gar nicht umfassend beschrieben werden können. Stattdessen werden Lösungen in iterativen Verfahren ausgearbeitet. Ähnlich vollzieht sich die Entwicklung ganzer Geschäftsmodelle.

Der Ball liegt bei den Banken

Was machen die Start-ups nun anders, dass sie sich so viel leichter tun in der Entwicklung von Innovationen? Viele Studien und Untersuchungen zeigen, dass kleine, interdisziplinäre Teams mit breitem Wissen und ausreichenden Freiräumen am innovativsten arbeiten. Mit den berühmten flachen Hierarchien, einer hohen Kundennähe und offener Kommunikationskultur wird ein innovationsförderndes Umfeld geschaffen.

Besonders für die schnelle Abarbeitung einfacherer Anforderungen ist dieser Ansatz ideal, da sehr schnell Modelle überprüft, verworfen, neu entwickelt werden können.

Vereinzelt versuchen Unternehmen diesen Start-up-Ansatz zu implementieren, indem Labs eingerichtet werden, die als isolierte Strukturen Innovationen stimulieren sollen. Damit ist es aber selten getan. Vielmehr braucht es das titelgebende, schnelle Umschaltspiel.

Im Fußball bedeutet schnelles Umschaltspiel die Fähigkeit der ganzen Mannschaft, auf einen Ballbesitzwechsel blitzschnell zu reagieren und zwischen defensivem und offensivem Modus zu wechseln.

Im Bankgeschäft sind die Daten der Ball. Wenn sie ihn nicht haben, dann wollen sie ihn. Und wenn sie ihn haben, tun sie alles, um damit ihre Ziele zu erreichen. Goal Orientation nennt dies die Psychologie.

Die Finanzaufsicht rügt die Banken, dass sie über ihre Daten die Orientierung verloren haben, ihre Defensive war also schlecht organisiert. Um dies zu verbessern, können die Geldinstitute ihre traditionellen, komplexitäts- und qualitätsorientierten Prozesse sehr gut zur Anwendung bringen.

Es ist ja nicht so, dass die Daten nicht vorhanden sind, sie sind nur schlichtweg schwer verfügbar. Um im Bild zu bleiben: Die Banken sind zwar im Ballbesitz, aber davon merken sie zu wenig.

Fintech-Ziel? Marktdominanz!

Fintechs arbeiten dagegen offensiv mit ihren Daten, wo ihnen Informationen fehlen, kaufen sie welche. Das heißt, sie agieren in einen Markt hinein, der im Entstehen begriffen ist. Ihr Ziel ist es nicht, ein möglichst perfektes Produkt zu bauen, sondern vor dem Markt zu sein und eine marktbeherrschende Stellung einzunehmen.

Wie erfolgreich dieses Konzept auch in der Finanzwelt ist, lässt sich sehr schön an PayPal beobachten. Die Banken haben erst spät mit Giropay und Paydirekt eigene Projekte gestartet und bejubeln es bereits, wenn sie den Anschluss nicht verlieren.

Und wer nun meint, dass man mit Zahlungsverkehr kein Geld mehr verdienen kann, sollte sich überlegen, wer nun weiß, welcher Kunde was, wann, wo einkauft. Klar ist: Fintechs sind nicht zu stoppen. Heute der Zahlungsverkehr und morgen die mit geringem Risiko behafteten Kredite.

Es reicht nicht mehr, schnellere Kreditzusagen zu machen und das Letzte aus den Prozessketten rauszuquetschen. Bald weiß das Finanzinstitut, dass der Kunde ein neues Auto kaufen will, bevor er es selbst weiß, und die Zusage für den Ratenkredit oder das Leasinggeschäft sind bereits online abrufbar. Lange bevor die ersten Raten fällig werden, sind diese Kredite bereits verbrieft und refinanziert, um das Risiko zu minimieren. Für die traditionellen Banken bleiben dann nur die komplizierten und risikobehafteten Geschäfte.

Es genügt also nicht, die Daten nur zu besitzen. Die Banken müssen die Daten, auf denen sie heute bereits sitzen, in den Griff bekommen und sicher nicht nur, weil die Aufsicht das so verlangt. Sie müssen sich darüber hinaus weitere externe Datenquellen erschließen, um mittelfristig mithalten zu können. Die Banken müssen in die Offensive gehen und Anwendungsbereiche für ihre gute Ausgangslage finden.

Das bedeutet im Front-End vor allem die Orientierung auf mobile Endgeräte, kontextbezogene Dienste und eine übergangslose, einheitliche Erfahrung beim Banking, wie es der Nutzer von anderen Internetdiensten kennt. Im Back-End heißt dies eine klare Data Governance mit automatischer Datenherkunftsanalyse und systematischer Trendanalyse großer Datenmengen sowie prognostischen Analyseverfahren.

Banken sind keine Start-ups und sollten auch nicht als solche agieren. Dass man mit 130 Milliarden Dollar Umsatz und über 350 Tausend Mitarbeitern trotzdem ein innovatives, datenbasiertes Geschäftsmodell entwickeln kann, zeigt Amazon.

Amazon und der Handel mit Daten

Der CEO von Amazon, Jeff Bezos, möchte in Entscheidungsprozessen eine „one-size-fits-all“-Mentalität vermeiden. Er unterscheidet in zwei Entscheidungstypen, die er als One-Way-Door und Two-Way-Door beschreibt.

Durch die erste kann man nur einmal hindurchgehen und egal, was man auf der anderen Seite vorfindet, die Entscheidung lässt sich nicht oder nur schwer rückgängig machen. Die zweite Variante, die Two-Way-Door, hält Bezos für den häufigeren Typ. Falls man die falsche Tür genommen hat, geht man einfach wieder zurück und startet neu.

Wesentlich ist es, in Bewegung zu bleiben, und das geht besser mit entscheidungsstarken Individuen oder kleinen Gruppen. In größeren Organisationen sieht Bezos eine starke Tendenz, alle Entscheidungen als One-Way-Door zu betrachten. Das führt zu langsamen und konservativen Entscheidungsprozessen.

Wichtig ist aber nicht nur der Entscheidungsprozess allein, sondern die Fähigkeit umzuschalten. Mit den Daten soll so offensiv wie möglich und so defensiv wie nötig umgegangen werden. Amazon hat von Anfang an einen datenzentrierten Ansatz vertreten, sowohl in seinem Retailgeschäft als auch bei seinem Cloud Service AWS.

In der Entwicklung vieler Tochterunternehmen geht der Versandhändler mit typischen Start-up-Methoden vor. Sie entwickeln ein minimal funktionsfähiges Produkt und unterziehen es einem A/B-Test, bei dem aus verschiedenen Varianten nur eine weiterverfolgt wird. Dabei setzen sie auf Pionierstrategien und auf kontinuierliche Datenerhebung.

So sind Amazon Prime, Amazon Marketplace, Amazon Pay und der in der Testphase befindliche vollautomatisierte Supermarkt Amazon Go entstanden. Die Informationslogistik hinter solchen Entwicklungen entsteht durch Analyse und automatische Verarbeitung der erhobenen Daten. Amazon verarbeitet Millionen von Kundendaten und entwickelt dadurch innovative Produkte.

Unternehmen wie PayPal arbeiten ähnlich und könnten bald auch den Handel mit Daten, also Informationen, bestimmen. Denn die Banken bekommen am Monatsende nur noch eine Gesamtrechnung und müssten PayPal fragen, wofür der Kunde sein Geld ausgegeben hat.

Es könnte viele Datenlieferanten dieser Art geben und die Banken müssen Wege finden, diese Daten zu prüfen. Denn von der Datenqualität hängt der Automationsgrad in der Verarbeitung ab. Je besser die Informationen, umso höher die Automation.

Ohne die entsprechende Datenqualität sind die Finanzinstitute immer in der Defensive. Daher müssen sie sich viel mehr als bisher um ihre Daten kümmern. Sie sind die Bedingung, um mit neuen Produkten in die Offensive gehen zu können. Sie brauchen eine Datenintelligenz, die die Vorteile ihrer komplexen Prozesse mit der Geschwindigkeit iterativer Strukturen verbindet. So gelingt ein schnelles und variables Umschaltspiel.