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GAIA-X: Fundament von Digitaleuropa?

Verfasst von Kay Bartelt   //  

Der Begriff "Disruption" ist seit fünf Jahren Dauergast im Vokabular der digitalen Geschäftswelt. In 2020 entledigte sich die Corona-Pandemie nun realweltlich dieser Worthülse. So fühlt es sich an, wenn eine PowerPoint-Theorie zur Wirklichkeit wird. Die digitale Welt nimmt parallel eine bemerkenswerte Entwicklung und präsentiert die dritte Generation des Internets. 

Das Potential dieser Technologien möchte auch die europäische Politik nutzen. Unter deutsch-französischer Führung formiert sich im Rahmen des Projektes GAIA-X die Sperrspitze der kontinentalen Zusammenarbeit im neuen Internet der Werte.

In einer föderierten Infrastruktur sollen Daten aus unterschiedlichen Quellen zusammenfließen. Als "Zukunftsschritt in die Datenökonomie" kündigte Bundesminister Peter Altmaier das Projekt GAIA-X auf der offiziellen Gründungsveranstaltung am 4. Juni 2020 an.

Namensgebend für das Vorhaben ist die griechische Göttin Gaia, die als eine der ersten Gottheiten aus dem Chaos entstand. Ordnung ist folglich das Grundprinzip dieses europäischen Dateninfrastruktur-Projektes. „GAIA-X ist keine europäische Cloud, sondern eine Organisation, die den europäischen Standard für Clouds setzt“, wird Boris Otto, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST) zitiert.

Die Leitprinzipien von GAIA-X basieren auf den europäischen Werten Offenheit, Transparenz, Vertrauen, Souveränität, Freier Markt und Datenschutz. Die Umsetzung dieser Prinzipien wird durch ein gemeinsames Regelwerk begleitet und deren Einhaltung durch föderierte Services hergestellt.

Der eco – Verband der Internetwirtschaft e.V. verortet GAIA-X entlang von zwei Dimensionen:

  1. Eine konzertierte europäische Handlungs-Initiative, die sich "im Kern um die grundlegenden Vertrauensmechanismen auf organisatorischer und technischer Ebene kümmert". Administrativ ist sie als Internationale Vereinigung ohne Gewinnerzielungsabsicht nach belgischem Recht (frz. association internationale sans but lucratif, kurz: AISBL) mit Sitz in Brüssel angelegt.
  2. Ein technisches Ökosystem, welches eine sichere, offene und souveräne Verwendung von Daten ermöglicht. In 2021 soll ein erster Prototyp entwickelt sein. Dieses „Minimum Viable Product“ wird die Basis für die Entwicklungen und Tests weiterer Funktionalitäten.

Das Projekt soll nicht zu einem zentralen „Hyperscaler“ der zweiten Internet-Generation amerikanischer oder chinesischer Prägung entwickelt werden. Dezentralisierung ist das Gebot der Stunde hin zur Vernetzung von vielen kleinen Anbietern in Europa.  So sollen Personen und Organisationen selbstbestimmt und unabhängig entscheiden können, wie und wo Daten innerhalb der GAIA-X-Infrastruktur gespeichert, verarbeitet und genutzt werden.

GAIA-X definiert sich nicht als Konkurrent zu bereits ausgereiften Technologieanbietern. Als Infrastrukturprojekt wird es so positioniert, dass sich gegenwärtige und zukünftige digitalen Bemühungen der europäischer Unternehmen zusammenführen lassen. GAIA-X ermöglicht  vertrauensvoll digital vernetzte Arbeitsabläufe, die auf einer Vielzahl von Technologien basieren.

gaia x roadmap

Virtuelle Staaten mit Advanced Smart Services

GAIA-X baut auf existierenden technischen Standards auf und will Transparenz über das gesamte Daten- und Serviceangebot schaffen. Dabei garantiert es überall die Identität der Teilnehmer und lässt durch diese übergreifende Vernetzung neue Datenräume entstehen:

Das Dienstleistungsangebot will einen verlässlichen Rechtsrahmen für den Umgang mit sensiblen und schützenswürdigen Daten im digitalen Raum abstecken und betrifft insbesondere Bereiche von nationalem Interesse wie z.B. Industrie 4.0, Energie, Mobilität, Finanzwesen, Gesundheit, Agrar und den öffentlichen Sektor.

gaia x architektur

Mit GAIA-X bauen die europäischen Staaten im Rahmen von öffentlich-privaten Partnerschaften eine real-virtuelle Infrastruktur, bei der sie sowohl Anbieter als auch Kunden oder beides zugleich auf allen drei IT-Architekturebenen sind:

  1. Netzwerke: Datenübertragungsnetzwerke und Hardware
  2. Daten: Datenhaltungsebene inkl. Betriebssystemen und Datenbanken zur Speicherung von Daten
  3. Dienste: Datenverarbeitungs- und Nutzungsebene inkl. Anwendungssystemen, Funktionen und Diensten

Damit das Zusammenwirken der drei Ebenen geregelt ist, werden die GAIA-X Federation Services definiert, um Anbieter und Konsumenten rechtssicher und interoperabel zu verknüpfen. Das Aufgabenspektrum dieser GAIA-X Federation Services umfasst das:

  • Entwickeln einer Referenzarchitektur mit einem Verzeichnis aller Anbieter und Angebote (Federated Cataloque)
  • Definieren von Übertragungs- und Formatierungsstandards (Souvereign Data Exchange)
  • Vorgeben von Kriterien für ein föderiertes Identitäts- und Zugangsmanagement inklusive Vergabe von Zertifizierungen und Gütesiegeln (Identity & Trust).
  • Harmonisierung der Vorhaben mit gesetzlichen Vorschriften inklusive regelmäßiger Kontrollverfahren (Compliance).

Mit GAIA-X soll folglich sichergestellt werden, dass die Anbieter von Rechenzentren, Speicherlösungen sowie branchenspezifischen Cloud-und Edge-Systemen den Datenaustausch in einem verlässlichen Rechtsrahmen vornehmen können. Dafür ruht das Projekt auf vier Prinzipien: Portabilität, Interoperabilität, Interkonnektivität und Benutzerfreundlichkeit. Der aufzubauende Katalog soll die Dienste aller Anbieter auflisten und mit Bewertungsfunktionen ausstatten.

Dass dabei zunächst niemand ausgeschlossen wird – allen voran die datenhungrigen amerikanischen und chinesischen IT-Konzerne – überrascht nur auf den ersten Blick. Boris Otto, vorläufiger Technikchef der Organisation, bringt das Selbstverständnis auf den Punkt: "GAIA-X setzt quasi die Straßenverkehrsordnung. Auf den Straßen fahren sollen dann aber Speditionen und Busunternehmen."